Radfahren lernen geht ganz schnell

Radfahren lernen geht ganz schnell

Loslassen ist für Eltern schwierig, aber manchmal muss es einfach sein. Ich renne über den großen Parkplatz eines Supermarktes und klammere mich am Gepäckträger des neuen Fahrrades meiner dreijährigen Tochter fest. Immer wieder muss ich ihre schlingernden Bewegungen ausgleichen und so einen Sturz verhindern. Sie sitzt an diesem kalten Wintertag zum ersten Mal auf einem Fahrrad. Das Treten in die Pedale hat sie schnell verinnerlicht und sie bekommt schon ordentlich Schwung. Aber um ganz alleine zu fahren, ist mir das Gesamtgefüge aus Rad und Fahrerin doch noch zu wacklig. Auf einmal kommt der Ruf: „Papa, loslassen!“ Ich grüble noch etwas, aber lasse los. Und sie? Fährt. Ganz allein. Zwar etwas auf Schlingerkurs, aber ansonsten sieht das schon gut aus. „Ich kann Fahrrad fahren, ich kann Fahrrad fahren“, schallt es fröhlich über den stillen Parkplatz. Nur unterbrochen durch meine doch noch leicht ängstlichen Rufe: „Nach vorne schauen, nach vorne schauen!“ Nicht einmal 15 Minuten dauerte es, meiner Tochter Radfahren beizubringen – oder war es doch ein Prozess über zwei Jahre, seitdem sie das erste Mal auf eigenen Beinen laufen konnte?

 

Spielerischer Einstieg dank Rutschfahrzeugen

Dieser Gedanke kommt mir abends, als unser nachmittägliches Erfolgserlebnis per Videotelefonat mit den Großeltern geteilt wird. Oma und Opa sind erstaunt, wie schnell und einfach das Radfahren geklappt hat. Doch dann sagen sie etwas total Plausibles: „Aber kein Wunder. Sie ist ja schon ihr ganzes Leben mobil.“ Das stimmt – das Radfahren ist nur ein weiterer Schritt auf dem Weg zur eigenständigen Mobilität. Den Startschuss gab ein Rutschfahrzeug, wie es viele Kinder für die ersten Fahrversuche in den heimischen Räumen nutzen. Aufsteigen, abstoßen, ein wenig beschleunigen und ganz wichtig: Richtungswechsel üben. So werden bereits mit den ersten Gehversuchen spielerisch auch die ersten Lenkbewegungen geübt und komplexe Bewegungsabläufe zusammengefügt.

 

Eltern haben Vorbildfunktion

Doch nicht nur unser Kind hatte Lust an der Bewegung, auch wir als Eltern haben schon früh unsere Kinder in den Mobilitätsalltag integriert. Nicht das Auto, sondern ein Kinderanhänger ist bei uns im Stadtverkehr die erste Wahl. Seit dem ersten Lebensmonat fahren unsere Kinder mit. So lernen sie, wie man sich im Straßenverkehr verhält und beginnen, Fragen über einfache Verkehrsregeln zu stellen. Die Frage „Warum stehen wir?“ musste ich schon sehr oft ausführlich beantworten. Aber auch Verbesserungsvorschläge für das eigene Verkehrsverhalten sind an der Tagesordnung: Wenn von hinten kommt „Papa, Arm raus“, weiß ich, dass ich mich selbst etwas mehr auf die Verkehrsregeln konzentrieren sollte. Man trägt schließlich Verantwortung. Und auch das Sporttreiben abseits des Fahrrads ist gemeinsam möglich. Die Kinder im Anhänger mit auf abendliche Joggingrunden zu nehmen, ist bei uns selbstverständlich. Gerne laufen sie dann die letzten Meter mit. Das dauert zwar etwas länger, aber wir haben gemeinsam unseren Spaß und sie ihre Bewegung.

 

Ein Helm muss auf

Seitdem unsere Tochter aufrecht sitzen kann, ist es für sie auch klar, dass ein Helm selbst als Mitfahrerin im Anhänger getragen wird. Helm und Fahrrad sind für sie eins. Deshalb gab es beim Umstieg auf das nächste Gefährt, ein Pukymoto, auch kein Klagen, wenn sie ihren Helm aufsetzte. Eher stellt sie Fragen, wenn sie einen Radfahrer ohne Helm entdeckt. Das Pukymoto ist äußerst praktisch, um die ersten Balanceübungen zu erlernen, was wiederum wichtig für den Umstieg auf das Fahrrad ist. Da das Rad dreirädrig ist, müssen die Kinder schon etwas üben, damit sie schnell vorankommen. Unsere Tochter hat den Dreh jedoch schnell raus: Ähnlich wie beim Laufradfahren links und rechts abstoßen und so den Weg zum Spielplatz selbstständig mobil meistern – das erfüllt sie mit Stolz. Mit ein paar Übungen wie Slalomfahren und kleinen Wettrennen kann ich zusätzlich die Freude an der Mobilität wecken.

 

Der Umstieg auf das Laufrad

Der wichtigste Schritt auf dem Weg zum Fahrradfahren ist der Umstieg auf das Laufrad. Laufradfahren trägt dazu bei, dass die Kinder lernen zu balancieren und das Gleichgewicht zu halten. Unsere Tochter wagt den Schritt mit knapp über zwei Jahren. Anfänglich tut sie sich noch ein wenig schwer und ist skeptisch. Erst mit der Zeit entwickelt sie Vertrauen, auch schnellere Geschwindigkeiten auszuprobieren. Man muss aber auch dazu sagen: Wir wohnen an einem Berg mit steilen Abschnitten. Also theoretisch nicht gerade der beste Ort, um einem Kind Rad- bzw. Laufradfahren beizubringen. Bei der Routenwahl müssen wir deshalb auch immer ein wenig Kompromisse und Umwege in Kauf nehmen. Und während bergab schnell die Füße wund werden vom Bremsen, fehlt bergauf genauso schnell die Kraft. Der Lernprozess ist deshalb aber auch gut, da unsere Tochter gleich Gefühl für die unterschiedlichen Abschnitte und Geschwindigkeiten bekommt. Als sie anfängt, zu beschleunigen und ihre Füße dann locker-lässig auf dem Trittbrett abstellt und sich spielerisch ausrollen lässt, ist uns klar: Die wichtigen Grundlagen zum Radfahren sind gelegt. Als letzter Schritt fehlt nur noch das Pedalieren.

 

Pedalieren mit Dreirad lernen

Zum Lernen bieten sich Dreiräder an. Wir haben zwar eines rumstehen, aber so richtig auf Interesse stößt das Gefährt zuhause nicht. Die Grundlagen des Pedalierens werden bei unserer Tochter eher im Kindergarten gelegt. Hier stehen den Kindern eine Vielzahl Gefährte zur Verfügung – und sie lernen dabei von den Älteren, wie sie sie richtig nutzen. Unsere Tochter flitzt liebend gerne durch die Außenanlagen und strampelt, was das Zeug hält. Auf dem Heimweg von einem anstrengenden Kindergartentag kommt eines Herbsttages auch ihr größter Wunsch zur Sprache: „Papa, ich brauche ein Fahrrad. Dann kann ich nämlich alleine in den Kindergarten fahren.“ „Ok, aber dann musst du nachmittags auch den Berg nach Hause alleine hochfahren.“ – „Hm, vielleicht warte ich noch ein bisschen.“ Das Fahrradfeuer ist allerdings entfacht. Schnell ist ihr (und auch uns Eltern) klar, dass sie sich zu Weihnachten ein Fahrrad wünscht.

 

Was ist eine Rücktrittbremse?

Die Vorfreude ist die Tage vor dem Fest deutlich spürbar. Im Internet müssen wir uns Bilder von Fahrrädern ansehen, Bücher zum Radfahren werden ausführlich mehrmals gelesen und die gemeinsamen Gespräche drehen sich immer wieder nur um ein Thema: Fahrradfahren. Als es dann soweit ist, glänzen die Augen unter dem Tannenbaum: ein grünes Fahrrad passend zum grünen Helm. Meine Sorge, dass das Fahrrad zu groß für unseren laufenden Meter ist, werden gleich zunichte gemacht. Sprung auf den Sattel und loslegen. Zum Glück hat das Rad einen Ständer, sonst hätte unser Tannenbaum wohl nicht mehr gestanden. Doch meine Tochter achtet auf jedes Detail. „Warum hat mein Fahrrad nur eine Bremse? Eure haben doch zwei“, fragt sie wissbegierig. Also kläre ich sie über ihre Rücktrittbremse auf und warum sie damit sicher zum Stehen kommt. Das Gesprächsthema hat sicherlich nicht jeder unter dem Weihnachtsbaum.

 

Stützräder? Nein danke!

Am ersten Weihnachtsfeiertag ist es dann soweit: Die erste Fahrt steht an. Zur passenden Einstimmung, denken meine Frau und ich, könnten wir das Buch „Conni lernt Radfahren“ lesen. Ein Fehler. Conni fährt nämlich mit Stützrädern. Für unsere detailverliebte Tochter ein Problem: „Warum hat mein Fahrrad keine Stützräder? Kann ich damit überhaupt fahren? Ich brauche auch Stützräder.“ Also wieder erklären: Diesmal, dass sie das Balancehalten bereits durch das Laufradfahren kann – und somit schon viel besser Radfahren kann als Conni. Die Überzeugungsarbeit trägt Früchte und wir machen uns auf den Weg.

 

Stürze gehören dazu

Eine Viertelstunde später hat sie den Dreh bereits raus und rollt freudestrahlend über den Parkplatz. Auch ein paar Missverständnisse bei den Begrifflichkeiten halten nicht vom Fahrspaß ab. So bedeutet „Papa, ich habe die Balance verloren“ nichts weiter als „Ich bin vom Pedal abgerutscht.“ Als weitaus problematischer stellt sich hingegen das Bremsen heraus. Beim Abbremsen rechtzeitig mit dem Fuß auf den Boden zu kommen, um das Rad zu stabilisieren, stellt sich als schwieriger heraus, als ich zuerst dachte. Aber der Euphorie des ersten Radfahrens tun die gelegentlichen Umfaller keinen Abbruch. „Nichts passiert, bin nur umgefallen. Ist nicht schlimm“, hallt es immer wieder über den Parkplatz. Die gepolsterten Lenkerenden des PUKY-Rades stellen sich dabei als Vorteil heraus. Und lieber soll das Rad ein paar Schrammen bekommen als das Kind. Da ist es gut, in Qualität investiert zu haben.

 

Mit Rückschlägen klarkommen

An den nächsten Wochenenden steht deshalb Bremsen auf dem Programm. Wieder Hütchen rausholen, einen kleinen Parcours aufbauen und immer wieder den Hinweis geben, den Rücktritt zu nutzen – was allerdings nicht immer klappt. Aber sie kommt auch mit den Füßen jetzt sicher zum Stehen. Wir müssen auf diesem Weg aber auch mit Rückschlägen klarkommen. Obwohl unsere Tochter Feuer und Flamme fürs Radfahren ist, war an manchen Tagen die Lust doch nicht ganz so groß. Schnell war sie frustriert, wenn etwas nicht klappte oder die Hose rutschte, die Schuhe zu glatt waren usw. Dann heißt es: Pause am Spielplatz und auf andere Gedanken bringen.

 

Gefährte nachhaltig nutzen

Heute drehen wir gemeinsam unsere kleinen Runden: zum Spielplatz, zur Eisdiele oder einfach eine Runde um den Block. Unsere ältere Tochter flitzt meist fröhlich voraus und hält sich an die vorab besprochenen Wartepunkte, denn sie muss ja auf ihre Schwester warten. Die hat mittlerweile das Pukymoto für sich entdeckt. Bald steht der Umstieg auf das Laufrad an.

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